— Gesang von mir selbst.
by W.W.
»Ich feiere mich selbst und singe mich selbst, Und was ich mir anmaße, das sollt ihr euch anmaßen, Denn jedes Atom, das mir gehört, gehört auch euch!Ich bin Müßiggänger und lade meine Seele zu Gaste, Ich lehne mich an oder schweife umher nach meinem Behagen, und betrachte einen Halm des Sommergrases. …

… Meine Zunge, jedes Teilchen meines Blutes ist hier aus diesem Boden, aus dieser Luft gebildet, Von Eltern geboren, die hier von ähnlichen Eltern geboren, und diese wieder von ähnlichen Eltern, So beginne ich jetzt, siebenunddreißig Jahre alt, in vollkommener Gesundheit, Und hoffe nicht eher aufzuhören, bis zum Tode.Glaubensbekenntnisse und Schulen ruhen eine Weile im Hintergrund, Treten zurück, nach dem geschätzt was sie sind, doch nimmer vergessen, Ich nehme alles in mich auf, mag Gutes oder Böses daraus erwachsen, ich lasse reden auf jede Gefahr – Natur ohne Zwang, mit ursprünglicher Kraft.Häuser und Räume sind voller Wohlgerüche, die Bücherbörter sind voller Düfte, Die ich einatme, die ich kenne und liebe, Die Essenz würde mich berauschen, aber ich lasse es nicht zu.Die Atmosphäre ist kein Parfüm, sie schmeckt nicht nach Essenz, sie ist geruchlos, Sie ist immer für meinen Mund; ich bin verliebt in sie, Ich will zum Hügelhang am Walde gehen und unverkleidet und nackt sein, Denn ich lechze danach, mit ihr in Berührung zu kommen.Der Dampf meines Atems, Waldwiderhall, Gerinnsel, surrendes Flüstern, Liebeswurz, Seidenfaden, Gabelstock und Rebe, Mein Aus- und Einatmen, das Pochen meines Herzens, das Durchströmen von Blut und Luft durch meine Lungen, Der schwache Geruch von grünem und trocknem Laub, vom Ufer, von den dunkelfarbigen Seefelsen und vom Heu in der Scheune, Meiner Stimme ausgestoßene Laute an die Windwirbel weitergegeben, Ein leises Küssen und Umarmen, Das Spiel von Sonnenschein und Schatten wo die biegsamen Äste schaukeln, Das Entzücken, allein, oder im Gedränge der Straßen, oder an Feldern und Hügeln entlang, Das Gefühl von Gesundheit, der Mittagstriller, mein Gesang, wenn ich mich vom Lager erhebe, der Sonne entgegen!Hast du tausend Acker für viel gehalten? Hast du die Erde für viel gehalten? Hast du so lange das Lesen gelernt? Hast du dir etwas darauf eingebildet, den Sinn von Gedichten zu verstehen? Bleibe nur diesen Tag und diese Nacht bei mir, und du sollst den Ursprung aller Gedichte erfassen!
Du sollst das Gut der Erde und der Sonne haben, (Millionen von Sonnen sind noch übrig)Du sollst die Dinge nicht mehr aus zweiter oder dritter Hand nehmen, auch nicht durch die Augen der Toten sehen, und dich nicht nähren von den Gespenstern in Büchern;Du sollst auch nicht mit meinen Augen sehen, noch die Dinge von mir empfangen,Du sollst horchen nach allen Seiten und sie alle durch dich selbst filtrieren!Ich hörte die Schwätzer schwatzen vom Anfang und vom Ende,Aber ich rede nicht vom Anfang oder vom Ende.Nie war mehr Anfang als jetzt,Nie mehr Jugend oder mehr Alter als jetzt,Nie wird es mehr Vollkommenheit geben als jetzt,Oder mehr Himmel und Hölle als jetzt.Drängen und Drängen und Drängen –Immer der zeugende Drang der Welt.
Aus dem Dunkel treten Gleichwertige einander entgegen, immer Stoff und Wachstum, immer Geschlecht,Immer die Verknüpfung der Identität, immer Unterscheidung, immer ein brünstiges Leben.Es weiter auszugrübeln ist nutzlos. Gelehrte und Ungelehrte fühlen, daß es so ist.Gewiß wie die sicherste Gewißheit, lotrecht in den Säulen, wohlgefügt in den Balken,Stämmig wie ein Roß, zärtlich, stolz, elektrisch,Ich und dies Geheimnis – hier stehen wir!Klar und rein ist meine Seele, und klar und rein ist alles, was nicht meine Seele ist.
Fehlt eins, so fehlen beide, und das Ungesehene wird durch das Gesehene bewiesen,Bis dieses wieder zum Unsichtbaren wird und seinerseits Beweise empfängt.Auf das Beste hinweisend und es vom Schlechtesten trennend, quälte sich Zeitalter um Zeitalter,Ich aber kenne die vollkommene Schicklichkeit und Gelassenheit der Dinge, schweige, während andere diskutieren, gehe baden und bewundere mich selbst.
Ich bin zufrieden, ich schaue, tanze, lache, singe;
Wie die umarmende und liebende Bettgenossin die Nacht durch an meiner Seite schläft, und sich bei Tagesanbruch verstohlenen Schrittes entfernt … Plappernde und Fragende umgeben mich; Leute, denen ich begegne, die Nachwirkung aus meinem frühern Leben, oder von dem Stadt-Bezirk, in dem ich wohne, oder von dem Volkstum, Die neuesten Ereignisse, Entdeckungen, Erfindungen, Gesellschaften, Autoren, alte und neue, Mein Mittagsessen, meine Kleidung, Genossen, Aussehen, Komplimente, Gebühren, Die wirkliche oder eingebildete Gleichgültigkeit eines Mannes oder Weibes, die ich liebe, Die Erkrankung eines meiner Verwandten, oder meiner selbst; Fehlschläge oder Verlust oder Mangel an Geld; Niedergeschlagenheit oder Überschwang, Schlachten, die Greuel des Bruderkrieges, das Fieber zweifelhafter Nachrichten, wechselnde Zufälle, Diese kommen zu mir bei Tag und Nacht – und gehen wieder, Aber mein eigentliches Ich sind sie nicht.
Abseits vom Ziehen und Zerren steht, was ich bin, Vergnügt, gefällig, teilnehmend, müßig, einheitlich, Blickt nieder, steht aufrecht oder stützt den gebogenen Arm auf einen unfaßbaren sicheren Halt, Sieht mit seitlich gewendetem Haupte zu, neugierig was nun kommen mag, In und außer dem Spiel, aufpassend und sich darüber wundernd.
Hinter mir liegen die Tage, da ich, schwitzend im Nebel, mit Sprachgelehrten und Streitenden mich ereiferte,Ich spotte und streite jetzt nicht, ich bin Zeuge und warte.Ich glaube an dich, meine Seele; das andere, das ich bin, darf sich nicht vor dir erniedrigen,Noch darfst du vor dem andern erniedrigt sein.
Laß dich mit mir nieder auf dem Grase und löse den Verschluß deiner Kehle, Nicht Worte, nicht Musik, noch Reime brauche ich, keine Herkömmlichkeit, keine Vorlesung, auch nicht die beste, Bloß das Lullen lieb‘ ich, das Summen deiner Stimmbänder! Ich gedenke, wie wir einst an einem so klaren Sommermorgen im Freien lagen, Wie du dein Haupt quer über meine Hüften legtest und dich leise auf mir umkehrtest, Und mir das Hemd am Brustknochen öffnetest und die Zunge in mein bloßgelegtes Herz hineintauchtest, Und hinaufreichtest, bis du meinen Bart fühltest, und hinunter, bis du meine Füße hieltest.
Alsbald stieg empor und verbreitete sich um mich her der Friede und das Wissen, das über alle Beweisgründe der Welt hinausgeht, Und ich weiß, daß die Hand Gottes die Versicherung der meinigen ist, Und ich weiß, daß der Geist Gottes der Bruder des meinigen ist, Und daß alle Männer, die je geboren, auch meine Brüder sind, und alle Frauen meine Schwestern und Geliebten …
Ein Kind sagte: Was ist das Gras? und brachte es mir mit vollen Händen; Wie sollte ich dem Kinde antworten? ich weiß ebensowenig was es ist, wie das Kind. Ich meine, es muß die Fahne meines eigenen Gemütes sein, aus hoffnungsgrünem Tuch gewoben … Oder ich meine, das Gras ist selber ein Kindlein, das der Pflanzenwuchs zeugte …
Hat jemand geglaubt, es sei ein Glück, geboren zu werden?
Ich will ihm oder ihr gleich zeigen, daß es ein ebensolches Glück ist, zu sterben, und ich weiß es. Ich gehe über den Tod mit dem Sterbenden hinaus und über die Geburt mit dem eben gebadeten Neugeborenen, und befinde mich nicht zwischen meinem Hut und meinen Stiefeln, Und ich erforsche mannigfaltige Dinge, nicht zwei einander gleich, und ein jegliches gut, Die Erde gut und die Sterne gut und alles Dazugehörige gut.
Ich bin nicht eine Erde, noch der Anhang einer Erde, Ich bin der Genosse und Gefährte der Menschen, alle ebenso unsterblich und unergründlich wie ich, (Sie wissen nicht wie unsterblich sie sind, doch ich weiß es). Jede Art für sich und ihr eigen; für mich die meine, männlich und weiblich, Für mich die, welche Knaben waren und die Frauen lieben, Für mich der Mann, der stolz ist und fühlt wie es sticht, gering geachtet zu werden, Für mich das Liebchen und die alte Jungfer, für mich Mütter und die Mütter von Müttern, Für mich Lippen, die gelächelt haben, Augen, die Tränen vergossen, Für mich Kinder und die Erzeuger von Kindern.
Enthülle dich! für mich bist du nicht schuldig, nicht veraltet, noch verworfen, Ich blicke durch das feine Tuch und Gingan, ob du willst oder nicht, Und bin rings um dich, beharrlich, erobernd, unermüdlich, und lasse mich nicht abschütteln.
…
Nachdichtung von Hans Reisiger, mit einem Essay von Gustav Landauer; 448 Seiten, ISBN 1985 978-3-257-21351-5 bei DIOGENES VERLAG – GRASHALME
Ihm zu Ehren greife ich heut zur Abendlektüre nach Grashalmen, strecke meine Arme aus und rase durch den Raum!^^
“Die schlimmste und verbreiteste Krankheit, die uns alle, unsere Literatur, unsere Erziehung, unser Verhalten zueinander durchseucht, ist die ungesunde Sorge um den Schein.” W.W.
Wohl war. Dennoch: ist der Schein nicht auch wichtig? Ist Schein nicht Inspiration, Hoffnung, der Motor, der uns nach Höherem streben lässt? Sind jene schier übernatürlichen Phantasien, die das Gegebene bereichern und ausbessern, sind sie nicht meist durch Funken von etwas entstanden, das gar nicht da war, sondern nur so – schien? Der Schein ist wahrlich Seuche, falsch genährt; doch im rechten Lichte wird er zum magischen Lebensraum, voll blanker Hallen, die nach Farbe lechzen, nach Gestaltung durch des Träumers glühend Hand.
Schein hat reale Konsequenzen; ob siechen oder laben bestimmt der, dessen Auge vom Licht getroffen.
Nichts gegen einen gesunden Schein, eine Verklärtheit, Verliebtheit sozusagen. Aber genau hingelesen sagt Walt Whitman, dass die „Sorge um den Schein“ die schlimmste Krankheit sei, genauer noch „die ungesunde Sorge“. Womöglich geht es doch auch um den Geldschein…
…
Das stimmt, das stimmt.
Ich wage verspätet hinzuzufügen, dass es mir in keinster Weise darum ging, Whitman zu widerlegen.
Vielmehr hat das Zitat in mir einen Reiz ausgelöst, ergänzend eine weitere Seite seines Gedankens zu erkunden. Als hätte der gute, alte Walt eine Luke irgendwo in mir aufgemacht, aus der es zu strömen begann. Das passiert mir manchmal. Normalerweise hinterlasse ich diese Gedanken auch nicht in Kommentarsektionen und für andere mag es sich dabei auch bloß um Abwasser handeln,
Meinerseits ergab sich daraus aber eine gewisse, wenn auch kleine, Freude, und daher möchte ich für die Anregung und das Forum danken!
Reiz ist immer gut…
Ich habe mich für Deinen Gedankengang erkenntlich zu zeigen.^^
Und auf diese Mischung kommt es doch dann & wann an. Ein irrer Trip. Einer der Spaß macht.
Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen, Fritsch.
Ein irrer Typ und Trip, ja…