Gegenüber meiner Schreibstube wird gebaut. Sie beraubten mir zunächst die Bäume, die mir den Blick aus meinem Fenster belaubten. Das freie Feld, das nun vor mir lag, brach. Keine Flora, keine Fauna mehr – so schien es! Die Vögel, wo sie wohl sein mögen, ihre Nester, ihre Brut? Ich erinnerte mich weh, dachte elegisch an die Fichte in der Mitte, umgeben von zwei Walnussbäumen, mit weitem Umlauf, die mir tagein, tagaus zur Seite standen, indem sie vor meinen Augen lagen. Wie ich einst dem Nadler unsere Initialen einritzte, zum Beispiel, und wie dann aus dem drumherum eingekerbten Herz Harz kroch. Oder wie wir ihre Nüsse vom Boden lasen, um sie zu naschen. Und an das Eichhörnchen, das hin und her von Krone zu Wipfel zu Krone sprang, wenn wir dies taten. Doch nun blickte ich aus dem selben Fenster und sah bloß aufgewühlte Erde, kackebraun und hackedichtes Schuttgeröll, Stein für Stein geschürft auf einen Haufen.

Über Nacht kamen die Bagger, furchten Gräben, mir schien es erst wie Gräber, aber fürchterliche Gruben; und anderswo errichteten sie damit Hügel. Kuhlen und Hubbel, wie von einem monströsen Maulwurf auf Tollwut gescharrt, tief gebuddelt, weitläufig ausgehoben und ausgestochen wie Plätzchen aus einem Teig. – Doch: Auf diese Weise wurde zwischen ihnen eine Art Saum erkennbar, eine Linie rund verspielt, eine Bahn kurvig quer hindurch. Ich erdachte mir Kinder, die ebenda hügelan herumtollen würden, vielleicht, wenn es schneien würde, von eben diesen Buckeln runterpurzelten. Einige Tage später ebnete man dann diese Gänge zum respektierlichen Fußweg, applanierte ihn und panierte ihn mit hübschem, weißem Kieselschotter; grobe Steinkörner groß genug, um sie gedankenverflogen vor sich hin und her treten zu können, promenierte man auf diesem Spaziergang dort entlang. Es wurde mir allgemach klar, dass ich das Entstehen eines Parks beobachtete, dass ich beim Erbauen eines Naherholungsgebietes dabei bin, beim Wachsen einer Gartenanlage beiwohnen und die Geburt einer kleinen, aber grünen Lunge miterleben kann.

Die Mulde in der Mitte des von mir einsehbaren Areals – so groß wie das Nest einer Familie Riesenmaulwürfe – wurde allmählich zu einem künstlich-angelegten Weiher. Ein Teich, der beim kleinen Bachlauf, der durch das Gelände führt, genährt, bewässert wird und Anschluss fand. Ob je Fische darin tauchen werden, neugiere ich, oder Frösche! Eines Morgens wurden auch die anderen Erdlöcher gefüllt, mit verschiedenen, bereits ausgewachsenen Laubbäumen, vereinzelt auch schwellende Tannen. Stramm stehen sie wieder da, beinah vor meinem Fenster, nah. Dann kam die Saat, das Gut wurde ausgestreut, die Brühel satt damit besamt, am Pfadrand entlang wurden winterfeste Blümchen in robustem Grün gesetzt, noch ziemlich sporadisch zwar, doch zierlich wahr. Da waren noch kleinere Aushebungen zu sehen, bald schon wurden diese mit dichten Büschen versehen, tief in der Erde verankert, bald verwurzelt. Kunststatuen wurden eingelassen in Zement, beinahe ringsumher kann man diese vom Weg aus betrachten. Da steht eine Schafskulptur mittendrin und eine Büste des Stifters darf nicht fehlen, ihm zu Ehren.

Jetzt ist erst einmal Winterpause für die Erbauer und den Garten, der Park hat sein Fundament, seine Ruhe durch die dunkle Zeit. Der erste Schnee fällt leicht, kleine Flocken, die jedoch schon sanft bedecken, was hier entstand bisher. Das Schaf aus Stein in Zement trägt bereits eine Schneemütze, ich glaubte gar, es vor Kälte auch schon blöken gehört zu haben, ein bibberndes Mähen etwa. Ich stelle mir nun vor, wie Bengel im Sommer auf ihm reiten womöglich und die Gören ihm im Winter einen Schneehirtenmann zur Seite bauen werden, denkbar, schon in einem Jahr, oder zwei. Wie Menschen sich sonnen werden hier, eventuell, zukünftig Bücher lesen im Park und ich denke an die Boule- und Boccia-spielenden Rentner in Spe, also an mich, vielleicht. Und an das Moos, das wachsen wird.


P.S. Das Leben zirkuliert

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3 Antworten zu „Moos wird wachsen”.

  1. […] treuen Immergrün; auf der Wiese sticht die Gemeine Fichte mit ihrem Beehive heraus und wegen des #Herz-Tattoos am Stamm, aus welchem ihr Harz blutet. Sie ist hier in der Waldung die Alleinstehende, doch für […]

  2. In diesem Artikelchen höre ich das Moos in Herzform förmlich wachsen aus den neuen Stämmen, denen die alten weichen mussten um die Wirklichkeit für ein Kind so zu erschaffen, dass sie ein unvergesslicher Teil Kindheit werden kann.
    Sehr sehr gern gelesen. Ich parke überhaupt immer gern in diesem Schatzkästel voller Wortbilder. Etwas Harz nehm ich, wenn dürfend zum Nikolausräuchern und Sinnbeduften sowie als Gesankenkitt unter die Fittiche.
    Feengrüße ✨

    1. Ja, es ist doch immer erfreulich, wenn man das Schöne am Wandel der Zeit sieht; wenn man es überhaupt sehen kann, das Erschaffen einer behaglichen Zukunft. Nörgler gibts ja genug und ein bisschen Wehmut tut auch ganz gut…

      Lieben Dank fürs Parken hier, für Deine Worte, Aufmerksamkeit und für die Treue zum „Schatzkästel“, wie Du sagst – ich musste schmunzeln! Schön, wieder von Dir gelesen zu haben, liebe karfunkelfee, auf bald!
      Es seien wortliebe Grüße und obendrauf noch ein bisschen Harz Dir herzlich zugeschickt^^

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