„Was ich immer erzählen muss, immer sagen muss: dass ich keine Heimat habe, dass ich ein Fremder bin, und das meine ich nicht pathetisch, sondern als gute Sache. Weil ein Schriftsteller, nach meinem Geschmack, muss ein Fremder sein.“
George Tabori
Oktober 2002
Gerne erinnere ich mich an die Theaterzeit in den 1990ern, in denen ich seinen „Weisman & Rotgesicht“ machte; für diesen jüdischen Western holten wir tonnenweise Wüstensand auf die Bühne. Für mich war er immer einer der Grössten: George Tabori wurde als György Tábori vor 110 Jahren, am 24. Mai 1914 in Budapest, Ungarn, geboren. Er weigerte sich, „Regisseur“ genannt zu werden, weil es ihn an „Regime“ erinnere; er bevorzugte „Spielmacher“. – Ob mit Hitchcock oder Brecht, ob beim Berliner Ensemble oder Wiener Burgtheater; als Dramatiker, Drehbuchautor, Schauspieler, Sprecher, Schriftsteller, Übersetzer und geschätzter Theatermensch bleibt der 2007 verstorbene Theaterkönig unvergessen. Wegen eines alten „Zeit“-Gesprächs, das er kurz vor seinem Tod mit Iris Radisch führte, denke ich oft an ihn, wenn ich einfach nur dasitze, Kaffee trinke und fernsehe.
„Ich habe in Berlin Die Kannibalen gemacht. Es hat mir so gefallen. Ich musste bleiben. Viveca und die Kinder blieben in New York. Wir haben uns getrennt.“
Wegen des Theaters?
„Ja.“
Das Theater war so wichtig?
„Ja.“
Warum ausgerechnet in Deutschland?
„Wo denn sonst!“
Lautsprecher: Bitte Ruhe, die Vorstellung beginnt.
„Nirgends auf der Welt hat es so viel Theater gegeben wie damals in Deutschland. Das deutsche Theater war das beste auf der Welt. Das ist vorbei. Ich lese jeden Morgen den Tagesspiegel. Es wird über alles geredet, über das Theater nicht mehr.“
Ist das Theater an seinem Reichtum erstickt?
„Am Fernsehen. Wenn ich jetzt gleich nach Hause gehe, trinke ich Kaffee und sehe fern. Auch wenn es blöd ist. Die Uschi sieht auch fern.“
Das deutsche Subventionstheater war ein Weltkulturereignis. Wie kann so etwas einfach verschwinden?
„Vor zweieinhalbtausend Jahren gab es das alte griechische Theater. Fünfzig Jahre lang. Dann war es vorbei. Das römische Theater war fabelhaft, fünfzig Jahre lang, dann Schluss. Die Franzosen, Molière und so weiter, toll, fünfzig Jahre. Dann kamen die Engländer, Shakespeare. Dann kamen die Deutschen, Schiller, Kleist, Büchner, hundert Jahre hatten sie das beste Theater. Und was ist jetzt? Unser großer Chef macht ein Stück von Handke.“
Die nächsten fünfzig Jahre verbringen wir also vor der Glotze?
„Ja.“
Quelle: © DIE ZEIT / 19.05.2004 / Nr.22 / Theater:„Ich war immer müde“
Gespräch mit George Tabori, dem dienstältesten Theatermacher der Welt,
zum 90. Geburtstag / Von Iris Radisch




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